Statement
Ausgangspunkt meiner künstlerischen Arbeiten ist die Beschäftigung mit bestimmten Räumen, Gegenständen und zeitlichen Abläufen, zu denen ein persönlicher Bezug besteht. Sie interessieren mich als Träger von Informationen, Symbolen und Geschichten, die mehr oder weniger eindeutig an die Oberfläche treten. Die Annäherung an einen Bildgegenstand passiert meistens situativ und intuitiv, sie begleitet einen Lebensabschnitt, eine Alltagssituation oder ein Ereignis und mündet in einen Akt des Sammelns, Erfassens und sich Aneignens. Eigenheiten eines Ortes an sich, aber auch die eigene Raumerfahrung fließen in die Arbeiten mit ein. Daraus entstehen sowohl in konzeptioneller als auch in dokumentarischer Hinsicht serielle Arbeiten und Einzelwerke. Wenn die Fotografie zunächst als bevorzugtes Mittel der Dokumentation dient, ist die Art der Aufnahme immer auch Anlass zur Verfremdung, so dass assoziative Bildräume und Bedeutungsverschiebungen entstehen.
Über Marion Jägers Aufnahmen
»Dass Zeigen ein Negieren einschließt«(1) klingt erst einmal paradox. In Anbetracht von Marion Jägers Arbeiten wird allerdings ersichtlich, dass durch ein Negieren das Zeigen erst möglich wird. Aber weder der Wunsch, ein Undarstellbares darzustellen,(2) noch die Verweigerung des Gegenständlichen, um einer Selbstreferenz willen,(3) ist dabei ihr Ziel. Trotzdem ist das Unsichtbarmachen und Uneindeutigmachen auch für Marion Jäger durchaus eine Form des Sichtbarmachens.
In Tafelbild macht sie von der ersten Form Gebrauch: Bewusst greift der Titel hier eine althergebrachte Form der Malerei auf;(4) allerdings sehen wir auf monumentalen Maßen statt himmlische Pracht oder heroische Schlachten die unsauberen Spuren einer schnell gewischten Universitätstafel. Indem sie diese zufälligen Spuren der Tafelauslöschung fotografiert und wieder in Originalgröße präsentiert, macht Marion Jäger sie zu einer bildhaften Setzung. Die tafelreinigerbreiten Schlieren aus Kreidewasser verbergen so den dunkelgrünen Grund – »den Ort, an dem sie sichtbar werden.«(5) Das Besondere bei diesem Tafelbild ist natürlich, dass die Wischspuren nicht nur als bildhafte Setzung, sondern auch in der Realität diese Funktion besitzen. Was sich unter den Spuren verborgen hat, wird also deshalb präsent, weil das Tafelwischen durch seine Funktion der Auslöschung immer den Verweis auf das Ausgelöschte enthält.(6)
Dass Marion Jägers Zeigen durch Negieren nicht immer mit Unsichtbarmachen zu tun haben muss, bestätigen ihre Arbeiten Passages und Paillasson. Aufgehoben wird hier nur die erkennbare räumliche Situation, die die Lesbarkeit des Abgebildeten eindeutig macht. So entstehen bildhafte Setzungen, die erst allmählich den Bezug zur Alltagswelt herstellen.
In ihrer Arbeit Auslöser, eine in Buchform präsentierte Sammlung von analogen Filmanfängen, treffen die beiden bisher vorgestellten Formen des Negierens zusammen: Mal ist von einen ersten Bild viel, mal fast nichts zu erkennen. Dementsprechend unterschiedlich ausgeprägt sind die Vorstellungen von Ort, Zeit und Grund des Ausgelösten beim Durchblättern des Buches. Der Kontrast zwischen Nicht-Gezeigtem und Gezeigtem ist jedes Mal gleichzeitig sichtbar. Ihre Grenze in Form einer krisseligen Linie markiert somit auch immer wieder einen neuen Übergang vom Unsichtbaren zum Uneindeutigen.
Was Marion Jäger durch diese Formen des Negierens ihren Arbeiten hinzufügt, ist Zeit: als Vorstellung vom Vorherigen und Darauffolgenden (Tafelbild), um den Bezug zu einem realen Ort zu realisieren (Passages, Paillasson), als erzählerisches Mittel (Auslöser). Umso deutlicher ermöglichen dadurch diese Momente des scheinbaren Nicht-Zeigens immer eine neue Form des Zeigens.
Von Nicola Höllwarth anlässlich der Ausstellung ›Ohne Zucker‹, KV Ettlingen
1 Gottfried Boehm, Wie Bilder Sinn erzeugen: Die Macht des Zeigens, Berlin 2007, S. 56. Mit dieser These versucht Boehm die Behauptung zu widerlegen, dass Bilder von Grund auf affirmativer Natur sind. Vgl. Ebd., S. 54–71.
2 Hier ist natürlich die Funktion der christlichen Kunst gemeint. Vgl. Martina Weinhart, „Nichts zu sehen“, in: Nichts / Nothing, hrsg. von Martina Weinhart und Max Hollein, Ausstellungskatalog, 12. Juli – 1. Oktober 2006, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Stuttgart 2006, S. 10–50, hier S. 10. Vgl. auch Boehm, S. 58.
3 Damit sei auf die ungegenständlichen Tendenzen der Moderne verwiesen. Vgl. Weinhart, S. 12. Vgl. auch Boehm, S. 60 ff.
4 Die Entstehung und Entfaltung der Tafelmalerei in der Gotik wurde durch folgende Entwicklungen begünstigt: Erstens: durch einen liturgischen Wandel, in dem der Priester nun mit der Gemeinde die heilige Handlung vollzog und somit Platz hinter der Altarmensa für Bildtafeln schaffte. Zweitens: durch den Wand entmaterialisierenden gotischen Sakralraum und den damit verbundenen sinkenden Anteil der Wandmalerei. Vgl. Karl Heimann, Der christliche Altar. Übersicht über seinen Werdegang im Laufe der Zeiten, Neuaufl., Abensberg 1954, S. 49; Vgl. Belser Stilgeschichte, Studienausgabe in drei Bänden, hrsg. von Christoph Wetzel, Band 2: Mittelalter, Stuttgart 2004, S. 308.
5 Boehm, S. 68.
6 Diese Ausführung ist angelehnt an Gottfried Boehms Begriff der ikonischen Differenz, den er in einem Beispiel wörtlich nimmt. Damit möchte er aufzeigen, dass Bildern immer dieser Kontrast von Präsenz und Absenz eingeschrieben ist. Vgl. Ebd. S. 56 und 68.